Wir starten mit guten Vorsätzen ins neue Jahr, die wir dann ohnehin nicht lange einhalten. Die Hälfte derjenigen, die Neujahrsvorsätze fassen, scheitern nach einem Monat kläglich. Das sagt zumindest eine Studie. Und wenn ich mich in meinem Bekanntenkreis so umhöre, haben die Ersten ihre Vorhaben bereits nach wenigen Tagen wieder über Bord geworfen. Der Witz an der Sache ist ja, dass wir uns zum Jahreswechsel nur Dinge vornehmen, die wir normalerweise erst gar nicht tun würden.
Wir packen die Gelegenheit beim Schopf und versuchen Änderungen jener Verhaltensweisen herbeizuführen, die uns unter normalen Umständen besonders schwer fallen, abzulegen. Wir wollen bessere Menschen sein. Getrieben von Emotionen wird jedoch in den entscheidenden Momenten unsere Vernunft durch Verlangen überlagert. Es bedarf also mehr als den Wunsch nach Verbesserung. Große Verhaltensänderungen geschehen, wenn sich der Kontext ändert. Es sind die sogenannten „teachable moments.“ Das kann ein Jobwechsel, eine Scheidung, eine schwere Krankheit oder auch eine neue Bezugsgruppe sein. Verplanken sagt, dass in diesen einschneidenden Momenten Gewohnheiten gebrochen werden, weil man sich neu orientieren und das eigene Verhalten überdenken muss.
Ich habe mich also schon immer gefragt, warum Menschen alle Jahre wieder zu Neujahr ihr Verhalten plötzlich radikal ändern wollen. Während also so ziemlich alle mit ihren Neujahrsvorsätzen nur so um sich schlugen, habe ich über meine Laster nachgedacht. Dinge, die gesellschaftlich zur allgemeinen Empörung beitragen können. Doch ich bin es leid, dass wir einer Gesellschaft angehören, die von Verboten und Gesetzen heimgesucht wird und von ihrem Gutmensch-Lebensstil besessen ist. Wir glauben Individualisten zu sein und sprechen von Authentizität. Wir reden von Toleranz und Liberalismus. Und dann: DAS GEHÖRT SICH NICHT.
Angst vor sozialer Isolation, wenn wir mit unserem Verhalten im Widerspruch mit der vorherrschenden öffentlichen Meinung stehen? So kommt es mir nämlich auch mit den Neujahrsvorsätzen vor. Wir wollen gesellschaftlich dazugehören. Unsere Verhaltensgewohnheiten sollen dahin geändert werden, wie „es sich gehört“. Sozusagen die Lemming-Mentalität des Menschen.
Noch schlimmer, dass wir uns und unsere Mitmenschen belügen, um nach außen einen Schein zu wahren. Damit muss Schluss sein. Es ist schockierend, dass wir uns verbiegen und auf Dinge verzichten, weil es die Gesellschaft von uns fordert. Und wenn wir sie doch tun, müssen wir uns dafür rechtfertigen. Weil es sich nicht gehört. Sagt wer?
Ich habe darüber nachgedacht, ob ich mit dem Rauchen aufhören oder vier Wochen vegan leben soll. Ich kam zu dem Entschluss, dass ich das nicht für mich tun würde. In erster Linie will ich das nämlich gar nicht.
Ich trage gerne Pelz.
Ich bin ein Gelegenheitsraucher. Und gendere nicht gerne.
Ich liebe Burger mit saftigen Rindfleisch.
Ich trinke gerne Alkohol, bevorzugt Muskateller und Whisky Sour.
Ich gehe lieber in ein Restaurant als eine Yoga-Stunde zu absolvieren.
Ich liebe Autofahren und meide die öffentlichen Verkehrsmitteln.
Mich überkommt kein Gefühl der Rechtfertigung. Ich werde mich auch nicht erklären. Quasi mein Neujahrsvorsatz.